Intensivpädagogik Blog

Was ist eigentlich ein Trauma?

Lange habe ich mich gefragt, warum bestimmte Situationen mich völlig aus der Bahn werfen, während andere scheinbar unberührt bleiben. Erst als ich mich mit dem Thema Traumapädagogik beschäftigt habe, wurde mir klar, warum.

Man spricht in der Fachliteratur oft davon, dass ein Trauma dann entsteht, wenn das Erlebte nicht verarbeitet werden kann, weil es keinen Schutz gab, keine Hilfe, keine Möglichkeit zur Flucht. Das Gehirn speichert diese Erfahrung dann nicht wie eine normale Erinnerung, sondern wie eine Art „Gefahrenblitz“. So kommt es, dass man dann in harmlosen Momenten mit Flucht, Erstarrung oder innerem Alarm reagiert obwohl die eigentliche Gefahr längst vorbei ist.

Trauma ist keine Erinnerung. Es ist eine Erfahrung, die das ganze System überfordert und sich tief im Körper und in der Psyche eingräbt.

Ein Trauma entsteht also, wenn eine Erfahrung (oder mehrere) so überwältigend ist, dass sie mit den vorhandenen Bewältigungsstrategien nicht verarbeitet werden kann.

Der Mensch fühlt sich machtlos, ausgeliefert, allein. Das Nervensystem schaltet auf Überlebensmodus: Flucht, Kampf oder Erstarrung.

Wenn keine dieser Reaktionen möglich ist, bleibt die Erfahrung unvollständig verarbeitet zurück, als „eingefrorene“ Reaktion, die sich später in anderer Form zeigt.


Warum dieser Beitrag?

In diesem Beitrag möchte ich euch mitnehmen auf eine Reise in die Welt der Traumapädagogik. Nicht theoretisch und abgehoben, sondern nah an der Praxis, nah an den Kindern, nah an dem, was uns alle manchmal an Grenzen bringt und genau dort auch wachsen lässt.

Eine persönliche und fachlich fundierte Annäherung

Jedes Kind bringt eine Geschichte mit

Eines ist für mich ganz klargeworden: Jedes Kind, das bei uns ankommt, bringt eine Geschichte mit. Eine Geschichte, die Spuren hinterlässt, nicht immer sichtbar, aber spürbar!

In jedem Verhalten, jedem Rückzug, jedem Wutanfall, jedem stillen Blick mitschwingend.

Und genau deshalb ist die Auseinandersetzung damit so zentral für meine Arbeit. Traumapädagogik ist für mich kein „Zusatzwissen“, sondern ein Schlüssel, um Kinder wirklich zu verstehen, ihnen mit Würde zu begegnen und ihnen neue Erfahrungen von Sicherheit und Beziehung zu ermöglichen.


Was bedeutet Bindungssicherheit in der Traumapädagogik?
Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis

Als ich meine Arbeit in der intensivpädagogischen Wohngruppe begann, war ich voller Motivation und voller Fragen. Ich wusste, dass die Kinder, die hier lebten, schlimme Erfahrungen gemacht hatten. Ich wusste auch, dass ich ihnen mit Verständnis, Stabilität und Empathie begegnen wollte. Doch die Realität war erstmal ernüchternd.

Die Kinder schienen mich nicht ernst zu nehmen. Sie testeten Grenzen, hörten oft nicht auf meine Anweisungen. Mit meiner ruhigen, feinfühligen Art kam ich anfangs nicht weit. Viele meiner Kolleg:innen hatten eine klare, manchmal auch strengere Linie, auf die die Kinder besser reagierten. Ich zweifelte an mir. War ich zu sanft? Nicht autoritär genug?

Aber tief in mir wusste ich, wenn ich authentisch bleibe, kann genau darin meine Stärke liegen. Also blieb ich bei mir. Ich versuchte nicht, lauter zu werden, nur um gehört zu werden. Stattdessen zeigte ich den Kindern: Ich bin da. Ich bleibe da. Und ich lasse mich nicht vertreiben.

Nach und nach passierte etwas. Die Kinder begannen, mich wahrzunehmen, nicht weil ich laut wurde, sondern weil ich verlässlich war, weil ich nicht wegging, wenn es schwierig wurde, weil ich nicht strafte, sondern begleitete. Ich wurde zur sicheren Basis, zu einem Gegenüber, auf das sie sich verlassen konnten. Und plötzlich begannen sie, das zu tun, was ich von ihnen erwartete, nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen und weil sie mich mochten.

Heute weiß ich: Bindungssicherheit entsteht nicht durch Macht, sondern durch Beziehung. Kinder mit belastenden Erfahrungen brauchen Menschen, die nicht sofort aufgeben. Die Geduld haben. Die sich nicht persönlich angegriffen fühlen, wenn Grenzen ausgetestet werden. Die nicht perfekt sind, aber beständig.

An alle, die neu in diesem Feld sind. Lasst euch Zeit. Bindung wächst langsam. Am Anfang ist es manchmal hart, frustrierend und chaotisch. Aber bleibt euch treu. Ihr müsst nicht lauter werden, um gehört zu werden sondern sicherer. Und das kommt mit der Zeit, mit den Beziehungen, mit jedem einzelnen Moment, in dem ihr da bleibt.

Heute weiß ich: Meine ruhige Art war kein Hindernis. Sie war das Fundament für echte Bindung.


Bindungssicherheit als Schlüssel in der Traumapädagogik.
Mein persönlicher Blick.

In meiner täglichen Arbeit in der Intensivpädagogik erlebe ich immer wieder, wie tief verwundete Seelen Schutz suchen. Nicht laut, oft leise, manchmal trotzig, manchmal aggressiv, aber immer mit der gleichen Sehnsucht: Gesehen, gehalten und angenommen zu werden.

Traumatisierte Kinder und Jugendliche bringen nicht nur ihre Geschichten mit, sondern auch ihre Überlebensstrategien: Flucht, Rückzug oder Angriff. All das sind Ausdrucksformen einer zutiefst erschütterten Bindungserfahrung. Und genau hier beginnt meine Aufgabe, aber auch meine tiefste Überzeugung: Bindungssicherheit ist das Fundament jeder heilenden Beziehung.

Ich glaube nicht an schnelle Lösungen oder pädagogische Rezepte. Was ich jedoch aus voller Überzeugung praktiziere, ist eben Verlässlichkeit. Tag für Tag, Stunde für Stunde.

Ich erinnere mich noch gut an einen Jungen, der jedes meiner Annäherungen mit Schweigen oder Abwehr quittierte, dann eines Tages, von sich aus ganz unerwartet „Gute Nacht“ sagt und sich irgendwann zaghaft in eine Umarmung wagt. Das sind die leisen, stillen Wunder, die mich tief berühren.

Bindungssicherheit bedeutet für mich, ein sicherer Hafen zu sein, nicht perfekt, aber konstant. Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nicht alles heilen. Aber ich kann einen Raum schaffen, in dem Heilung möglich wird. In dem Vertrauen langsam wachsen darf.

Ich sehe meine Rolle nicht als die der Retterin oder Therapeutin. Ich bin Beziehungsarbeiterin und baue Brücken, auch wenn ich nicht weiß, ob der andere schon bereit ist, sie zu überqueren. Aber ich baue weiter. Ich bleibe. Ich halte aus. Ich glaube an das Gute auch wenn es sich gerade nicht zeigt.


Wie kann ich mit Wut und Rückzug bei Kindern und Jugendlichen im intensivpädagogischen Alltag sinnvoll umgehen?

In unserer intensivpädagogischen Wohngruppe leben zurzeit drei Kinder zwischen 9 und 11 Jahren. Alle drei haben in ihrem jungen Leben Erfahrungen gemacht, die sie tief geprägt haben. Manchmal zeigt sich das in lautem, explosivem Verhalten und Wut, das scheinbar ohne Vorwarnung kommt. Und manchmal in leisem, schwer greifbarem Rückzug mit einem Verschwinden ins Innere, das mindestens genauso laut spricht, nur auf eine andere Weise. Während Wut uns laut anschreit, ist Rückzug oft schwerer zu greifen. Ein Kind, das sich immer mehr entzieht, das nicht mehr spricht, nicht mitspielen will, vielleicht nicht einmal mehr isst, ruft auf seine Weise um Hilfe.

Wut verstehen, nicht fürchten

In meinem Alltag begegnet mir vor allem Wut, laut, heftig, manchmal impulsiv und scheinbar unkontrollierbar. Rückzug kommt seltener vor, aber wenn er da ist, ist er genauso ernst zu nehmen.

Doch es ist oft die Wut, die den Raum füllt und mich herausfordert. Sie kostet mich manchmal all meine Kraft, ruhig und bei mir zu bleiben.

Gerade bei traumatisierten Kindern ist Wut kein Trotz sondern ein Schutzmechanismus. Sie zeigt: „Ich bin überfordert“, „Ich fühle mich nicht sicher“, „Ich weiß mir gerade nicht anders zu helfen.“


Was hilft (mir) im Umgang damit?

In besonders eskalativen Momenten hilft:

„Das Kind ist nicht das Problem, das Verhalten ist ein Ausdruck eines ungelösten Problems.“

(Traumapädagogisches Grundverständnis)


Was tun wenn das Kind sich zurückzieht?


Beziehungsarbeit ist das Herzstück

Ob bei Wut oder Rückzug: Die Beziehung ist das Werkzeug. Ohne Beziehung ist Pädagogik bloß Erziehung. Aber in einer echten, verlässlichen Bindung kann sich Verhalten verändern. Nicht weil das Kind “funktionieren” soll, sondern weil es sich sicher fühlt.

Wichtig für uns Fachkräfte!

Wenn du auch in der Intensivpädagogik arbeitest frage dich:

Schreib mir gern in die Kommentare oder teile diesen Beitrag, wenn er dir Mut macht.


Der Körper als Partner in der Traumapädagogik

Persönliche Erfahrungen aus meiner intensivpädagogischen Wohngruppe

In der Arbeit mit traumatisierten Kindern erlebe ich immer wieder, dass Trauma nicht nur in Gedanken und Erinnerungen lebt, sondern auch im Körper.  Herzrasen, Anspannung oder plötzliche Wutausbrüche sind körperliche Spuren von erlebter Not. 

Bei unseren Kindern sind diese Signale Alltag und sie verdienen ernst genommen zu werden. Traumapädagogik in der Intensivpädagogik bedeutet, den Körper sehen, verstehen und einbeziehen. 

Pädagogische Praxis: Wie wir mit dem Körper arbeiten

In der Traumapädagogik nutzen wir den Körper nicht nur als „Symptomträger“, sondern auch als Ressource. Vor allem Bewegung, Routinen und Rituale haben sich bewährt:

Bewegung als Ressource für Körper und Heilung in der Wohngruppe. Sie löst Anspannung und gibt neue Energie.

Strukturen und Rituale in einer intensivpädagogischen Wohngruppe, wie zum Beispiel die gemeinsamen Mahlzeiten, geben Sicherheit bei Trauma und Heilung.
Sie geben Halt und vermitteln dem Körper: „Hier bist du sicher.“

Eine andere bewährte Methode ist die Körperwahrnehmung: Atmung, Boden spüren, kleine Achtsamkeitsübungen. Dies hilft den Kindern, sich selbst zu regulieren.

Hierzu kann ich folgendes Büchlein empfehlen: Alles gut – Das kleine Überlebensbuch: Soforthilfe bei Belastung, Trauma & Co“ von Claudia Croos-Müller, welches ich ebenfalls in meinen Buchempfehlungen aufführe.

Haltung vor Methode

So wertvoll Methoden sind, entscheidend ist die Haltung der Fachkräfte. Statt Druck oder Vorwürfen braucht es Signale wie, Dein Körper darf so reagieren. Ich bleibe bei dir. Dieses verlässliche „Dabeibleiben“ schafft Sicherheit und eröffnet den Kindern neue Erfahrungen mit ihrem eigenen Körper.


Hinweis: Dieser Beitrag ist noch nicht zu Ende erzählt.

Bleib also gern dran. Es geht weiter!

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner