Intensivpädagogik Blog

Beziehungsarbeit in der Intensivpädagogik
Das Fundament unserer Arbeit

Beziehungsarbeit ist das Fundament unserer pädagogischen Arbeit, kein Extra, kein „Soft Skill“, sondern das, worauf alles andere aufbaut. Gerade in der Intensivpädagogik begegnen wir jungen Menschen, die oft schon mehr Verluste, Ablehnung und Grenzverletzungen erlebt haben, als wir erahnen können. Vertrauen ist für sie kein Automatismus. Es entsteht nicht durch Regeln oder Methoden, es entsteht durch Menschen. Menschen die bleiben, die aushalten. Die immer wieder neu „Ja“ sagen, auch wenn’s schwierig wird.

Beziehungsarbeit heißt: Ich sehe dich. Ich nehme dich ernst. Und ich bleibe da, auch dann, wenn du selbst gerade nicht weißt, ob du mich willst.

5 Dinge, die wirklich zählen

1. Verlässlichkeit – „Ich bin da. Immer wieder.“

Verlässlichkeit ist mehr als Pünktlichkeit oder Planerfüllung. Sie bedeutet: Du kannst dich auf mich verlassen, auch wenn du mich testest, beschimpfst oder wegläufst. Gerade dann.
Aus dem Alltag: An einem frostigen Wintertag läuft ein Mädchen wütend und ohne Jacke davon. Als die Polizei sie später zurückbringt, steht ihre Betreuerin bereits am Eingang: still, aber wachsam. In den Händen hält sie eine warme Decke. Keine Fragen, keine Vorwürfe. Nur ein leises Zeichen: Ich bin da. Für dich!

2. Klarheit – „Ich meine, was ich sage, und ich sage, was ich meine.“

Klare Worte geben Halt. Jugendliche spüren sofort, wenn wir unsicher sind oder Dinge beschönigen. Klarheit heißt nicht Härte, sondern Ehrlichkeit, Orientierung und eine verlässliche Linie.
Aus dem Alltag: Ein Mädchen provoziert lautstark. Die Fachkraft bleibt ruhig, schaut sie an und sagt: „Ich sehe, dass du gerade wütend bist. Aber du kannst trotzdem respektvoll mit mir sprechen.“ Keine Machtspielchen. Nur Klarheit und Respekt.

3. Ambivalenz aushalten – „Ich halte dich aus – auch wenn du mich zurückstößt.“

Viele Jugendliche kämpfen mit inneren Widersprüchen: Nähe tut gut, aber sie macht auch Angst. Sie fordern uns heraus, weil sie prüfen wollen: Bleibst du, auch wenn ich mich unmöglich benehme?
Aus dem Alltag: Ein Jugendlicher schreit, wirft mit Worten um sich, abends fragt er still: „Liest du mir was vor?“ Und wir? Bleiben. Nicht, weil wir müssen, sondern weil wir verstanden haben, was dahinter steckt.

4. Selbstfürsorge – „Ich darf mir auch wichtig sein.“

Beziehungsarbeit unter Druck verlangt viel, körperlich, seelisch und emotional. Nur wenn wir gut auf uns achten, können wir anderen wirklich Halt geben. Selbstfürsorge ist kein Egoismus. Sie ist Verantwortung für sich selbst zu übernehmen!

Tipp: Such dir Momente der Ruhe und erinnere dich immer wieder: Du musst nicht perfekt sein, nur ehrlich und da.

Eine einfache, aber sehr wirkungsvolle Methode, die ich mir angewöhnt habe, hilft mir besonders dann, wenn ich gerade nicht wegkann. Ich nehme bewusst einen tiefen Atemzug, halte den Atem für einen kurzen Moment an und atme dann langsam (langsamer als das Einatmen) wieder aus. Diesen Zyklus wiederhole ich drei Mal. Diese kleine Atemübung dauert nur wenige Augenblicke, bringt mich aber zuverlässig zurück in den Moment und hilft mir, Anspannung loszulassen.

Wenn es die Situation erlaubt, ziehe ich mich für ein paar Minuten auf die Toilette zurück; Ein Ort, der im hektischen Alltag oft der einzige Rückzugsort ist. Dort nehme ich mir drei Minuten Zeit für eine stille Meditation: Ich schließe die Augen, spüre meinen Atem, lasse Gedanken die kommen wieder gehen, ohne sie festzuhalten. In dieser kurzen Stille finde ich Ruhe, Klarheit und neue Kraft für die nächsten Herausforderungen.

Diese kleinen Rituale sind für mich zu wertvollen Ankern geworden. Sie zeigen mir: Selbst inmitten von Stress und Hektik ist es möglich, Momente der Achtsamkeit und inneren Ruhe zu finden.

5. Menschlichkeit & Humor. „Wir sind Menschen, keine Maschinen.“

Echte Beziehung braucht echte Menschen. Kein Rollenspiel, keine Maske. Es sind oft die kleinen, unperfekten, humorvollen Momente, in denen echte Verbindung entsteht.
Aus dem Alltag: Nach einem langen Tag sitzen zwei Kinder und eine Betreuerin gemeinsam am Küchentisch, essen kalte Pizza und lachen über eine dummes YouTube Video. Beziehung passiert nicht im Protokoll, sie passiert im echten Leben.

Beziehung ist kein Planpunkt auf der To-do-Liste. Sie ist das, was bleibt, wenn alles andere nicht mehr funktioniert. Wenn Regeln versagen, wenn Worte fehlen, dann zählt nur noch: Bin ich dir als Mensch begegnet? Habe ich dich gesehen? Gerade in der Intensivpädagogik sind wir nicht „nur“ Fachkräfte. Wir sind manchmal Übersetzerinnen von Nähe, Grenzhalterinnen, Wegbegleiterinnen. Und immer wieder: Menschen, die Beziehung möglich machen.

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner